Festansprache des ehemaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher

Festakt zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen des deutsch-französischen Bildungsgangs am Friedrich-Ebert-Gymnasium in Bonn am 10. Februar 1996 im Haus der Geschichte

Sehr geehrter Herr Botschafter,

sehr verehrte Frau Oberbürgermeisterin,

sehr geehrter Herr Staatssekretär,

sehr geehrter Herr Direktor Dilk,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Schülerinnen und Schüler des Friedrich-Ebert-Gymnasiums!

Mein herzlicher Glückwunsch zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen des bilingual deutsch-französischen Bildungsgangs gilt all jenen, die daran teilnehmen, die ihn möglich machen, die sich um seinen Beginn und Erhalt verdient gemacht haben. Zu einem Geburtstag gehört es sich, ein Geschenk mitzubringen. Ein materielles werden Sie nicht erwarten, aber meine Zuversicht kann ich Ihnen übermitteln, dass für immer die Einzigartigkeit des deutsch-französischen Verhältnisses zur Staatsräson in unserem Lande und in Frankreich geworden ist und dass diese Übereinstimmung unserer Völker die Garantie dafür ist, dass Europa seinen Weg der Einigung fortsetzen wird. Diese Zuversicht setze ich gegen die Skepsis und gegen die Kritik an dem Prozess der europäischen Einigung.

Hans-Dietrich Genscher, Quelle: Wikipedia.de

Meine Damen und Herren, zu den ersten Erinnerungen meiner Kindheit an den technischen Fortschritt gehört die Erinnerung an einen riesengroßen Radioapparat der Marke Saba, so groß, wie heute ein Fernsehgerät. Es gehörte meinem Großvater, dem Vater meiner Mutter, der ein Bauer vor den Toren der Stadt Halle war und der abends, wenn er an diesem Radioapparat saß, Sendungen in einer Sprache hörte, die mir fremd war, aber deren Wohlklang ich auch als Vierjähriger schon empfinden konnte. Und er sagte zu mir: »Das ist die schönste Sprache, die es gibt. Das ist Französisch!« Da wurde ich sein geduldiger Zuhörer, wenn er mir über die Bedeutung des Französischen, des deutsch-französischen Verhältnisses berichtete. Seine Begegnung war eine ganz besondere gewesen. Er, der Bauernsohn aus der Mitte Deutschlands, hatte im letzten Viertel des letzten Jahrhunderts seinen Wehrdienst in einer Garnison in Lothringen geleistet. Und dort war er der französischen Kultur begegnet und hatte seine französischen Sprachkenntnisse, die er in der Schule in Halle erworben hatte, weiterentwickeln können, und für ihn gehörte es zu den tiefen Überzeugungen, dass die Franzosen und die Deutschen nie wieder gegeneinander Krieg führen sollten. Deshalb waren das Jahr 1935, aber noch mehr der 10. Mai 1940, als deutsche Truppen in Frankreich einmarschierten, Daten, über die er nicht mehr hinwegkam. Mir, der da vor ihm saß und dem er berichtete über Frankreich und über seine Kultur, [sagte er], er werde besonders darauf achten, dass ich, wenn ich denn auf die Oberschule käme, in Französisch besonders gut sein würde. Das erzählte er mir schon, bevor ich überhaupt das erste Wort in Sütterlinschrift schreiben konnte. Und für ihn war eigentlich der Stab über das damalige Regime total gebrochen, als ausgerechnet im Jahr 1937, als ich dann zur Oberschule kam im Alter von zehn Jahren, entschieden wurde, nun sei die erste Fremdsprache nicht mehr Französisch sondern Englisch. In der Quarta lernten wir Latein, und als nun endlich in der Untersekunda im Alter von fünfzehn Jahren der französische Unterricht begann, da blieb das eine flüchtige Begegnung, denn wenige Monate später wurden wir in diesem Alter von fünfzehn Jahren zur Flak als Luftwaffenhelfer eingezogen, erhielten von unseren Lehrern noch 20 Stunden Unterricht in der Flakstellung, und die neuen Sprachen, die lebenden Sprachen, waren aus dem Unterrichtsplan gestrichen. So habe ich es dankbar empfunden, dass die meisten der sechs Kollegen, mit denen ich es als französische Außenminister zu tun hatte, die deutsche Sprache beherrschten oder zumindest gut gesprochen haben und dass sie deshalb auch sehr viel von Deutschland und von uns wussten.

Wenn heute so skeptisch über Europa gesprochen wird, so liegt vielleicht auch einer der Gründe darin, dass die europäische Einigung in den letzten Jahren zunehmend begriffen, erläutert, kommentiert worden ist als eine wirtschaftliche Angelegenheit, als eine Frage größerer wirtschaftlicher Effizienz, größerer wirtschaftlicher Chancen. Das ist ja auch richtig. Aber in Wahrheit bedeutet ja vor allen Dingen diese europäische Einigung, dass wir nicht nur miteinander zu leben haben, sondern dass wir miteinander leben wollen, dass wir uns verstehen wollen. Und die Sprache eröffnet den Zugang zu der Kultur der anderen Völker mehr als jeder andere Weg. Deshalb habe ich es so bedauert, dass ich in meiner Schulzeit nicht diese Chance gehabt habe. Deutschland und Frankreich – ja, sie haben eine ganz besondere Bedeutung für Europa. Unvergesslich ist, dass ein Franzose es war, Paul Claudel, der im Sommer 1945, wenige Wochen nachdem die Waffen schwiegen, den Deutschen zurief, es sei nicht Aufgabe der Deutschen, Europa zu beherrschen, sondern es sei Aufgabe der Deutschen, Europa zu einen, den Völkern Europas verständlich zu machen, dass ihre Zukunft eine gemeinsame sei. Das war zu einer Zeit, in der wir gar nicht damit rechneten, dass wir noch einmal gefragt werden würden, wie die Zukunft Europas gestaltet werden sollte. Und ein Jahr später war es Winston Churchill, der in seiner großen Zürcher Rede die Franzosen und die Deutschen dazu aufrief, das zu beenden, was man die Erbfeindschaft zwischen Deutschen und Franzosen nannte, und Europa zu schaffen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Winston Churchill damals die Vorstellung hatte, zu diesem Europa solle England mit gehören oder ob für ihn nicht England oder wir auf dem Kontinent vorrangig waren, aber er sagte es nachdrücklich.

Wieder ein Jahr später sprach in Stuttgart in dem einzigen, im Kriege nicht zerstörten größeren öffentlichen Gebäude, dem Staatstheater, der amerikanische Außenminister Byrnes zu den Völkern Europas, auch zu dem besiegten deutschen Volk, forderte sie auf, sich zu einen und gemeinsam den Aufbau vorzunehmen, und Amerika werde dabei helfen. Heute wissen wir, dass das Verständnis der Völker nicht zu sehr von dem abhängt, was man Interessen nennt, sondern vor allen Dingen von dem, was ich Achtung der Identität des anderen nenne, und in der Möglichkeit und Fähigkeit, die Identität des anderen als Bereicherung für sich selbst zu begreifen. Darin liegt die große Chance, zusammenzukommen und nicht nur dieses Zusammenkommen einer Laune der geschichtlichen Entwicklung und einer vorübergehenden Interessenlage zu verdanken. Es ist erstaunlich, wie im geschichtlichen Rückblick immer wieder deutlich wird, dass immer dann, wenn es darum ging, ein anderes Volk zu überfallen, man damit begann, seine kulturellen Leistungen herabzusetzen, es als weniger fähig, als weniger tüchtig, als weniger gebildet zu bezeichnen, Vorurteile zu schüren. Deshalb ist das Verständnis für die Kultur anderer Völker, die Achtung vor der Kultur anderer Völker, der Zugang zu ihrer Kultur, die ja in Europa Bestandteil unserer gemeinsamen europäischen Kultur sind, zu der die Völker Europas Großes beigetragen haben, die beste Garantie gegen einen neuen Nationalismus und gegen neue Überheblichkeit. Und hier tragen Deutsche und Franzosen eine ganz besondere Verantwortung. Denn gerade weil von der Erbfeindschaft der Deutschen und der Franzosen so viel die Rede war, haben sie ja auch ein Beispiel gegeben, dass man derlei Gefühle überwinden kann, ja dass man erkennen kann, dass das gemeinsame Handeln nicht nur für die eigenen Völker, sondern auch für die anderen Völker Europas zum Wohl und zum Besten gereicht. Deshalb ist für mich diese deutsch-französische Zusammenarbeit, dass Sich-Verstehen, die Verständigung so wichtig, und ich habe in vielen Begegnungen mit französischen Kollegen erfahren, dass die Einsicht in diese Notwendigkeit so tief in Frankreich wie bei uns verankert ist. D. h. ja nicht, dass man in jeder einzelnen politischen Frage übereinstimmt. Das tun wir in Deutschland ja auch nicht. Das wird sogar für die Stadt Bonn gelten oder für das Land Nordrhein-Westfalen oder für das Friedrich-Ebert-Gymnasium. Aber den anderen achten in seiner Meinung und die gemeinsame Verantwortung zu erkennen, das ist das Entscheidende. Hier tragen Deutsche und Franzosen eine ganz besondere Verantwortung, eine besondere Verantwortung dafür, zu zeigen, dass man aus der Geschichte lernen kann und dass dieses Lernen aus der Geschichte eine bessere Zukunft verheißt. Der Herr Staatssekretär hat mit Recht darauf hingewiesen, dass auch andere Sprachen gepflegt werden, hier im Lande Nordrhein-Westfalen, denn auch andere Sprachen eröffnen den Zugang zur Kultur anderer Völker, zur Kultur, dem Denken, dem Fühlen.

Es war im Jahre 1991, da habe ich meinen Kollegen und Freund Roland Dumas, der zweimal Außenminister der Französischen Republik war und zu einem wirklichen Freund geworden ist, angerufen und habe ihm gesagt: »In Weimar wird in jedem Jahr am 28. August der Geburtstag Goethes begangen. Es wäre schön, wenn wir uns an diesem Tage in dieser Stadt, die so viel an Weltoffenheit in früherer Zeit bewiesen hat, treffen könnten. Aber wir sollten das nicht allein tun, sondern wir sollten einen Dritten dazu nehmen, den polnischen Außenminister.« So begannen wir nicht in Berlin und nicht in Bonn und nicht in Paris, sondern in Weimar, dieser Kulturstadt in Europa, ein neues Kapitel deutscher, deutsch-französischer, deutsch-polnischer, französisch-polnischer Beziehungen. Wer die wechselvolle Geschichte unseres Volkes mit diesen großen Nachbarn im Westen und im Osten kennt, wird nicht überrascht sein, wenn ich sage, es war die erste Begegnung dreier Außenminister dieser Länder in der Geschichte überhaupt. Diese Tradition der Begegnung ist fortgesetzt worden. Das war eine Botschaft der Franzosen und der Großdeutschen an die Polen. Aber es war auch ein Bekenntnis der Franzosen und der Großdeutschen, dass wir in unserem Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn nicht alten Rivalitäten neuen Raum geben wollen, sondern dass die Gestaltung unseres Verhältnisses zu unseren östlichen Nachbarn eine gemeinsame Sache ist, der wir uns gemeinsam stellen.

Meine Damen und Herren, wenn in Deutschland über die neue Verantwortung gesprochen wird, die das vereinigte Deutschland habe, so findet diese neue Verantwortung vielfache Ausdeutungen. Ich bin mir gar nicht sicher, ob die meisten, die von dieser neuen Verantwortung sprechen, sich bewusst sind, dass alle Völker Europas eine neue Verantwortung haben nach der Überwindung der Teilung unseres Kontinents. Ich frage, ob die Gründerväter und Gründermütter der Europäischen Gemeinschaft sie nur durch Zufall europäische Gemeinschaft genannt haben oder ob sie nicht einfach westeuropäische Gemeinschaft gemeint haben könnten. Diese Frage müssen wir heute durch die Tat beantworten, indem wir klarmachen, dass alle europäischen Demokratien ihre Heimat in dieser Gemeinschaft haben sollen. Und dies wiederum zu betreiben – wie die europäische Gemeinschaft insgesamt – ist französische und deutsche, besondere Verantwortung.

Vor wenigen Wochen ist eine der größten Persönlichkeiten – in meinem Urteil – der Geschichte dieses Jahrhunderts, François Mitterrand, von uns gegangen. Er, der vierzehn Jahre an der Spitze der Französischen Republik stand, hat in diesen vierzehn Jahren bewiesen, dass für ihn das deutsch-französische Verhältnis entscheidend war. Eine ganze Reihe von Entscheidungen verdanken dieser Einsicht überhaupt, dass sie zustande gekommen sind, auf französischer Seite und auf deutscher. Es ist in Deutschland viel darüber gerätselt worden – und nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich –, ob der französische Präsident Mitterrand, ob Frankreich eigentlich im Jahre 1989 glücklich gewesen seien über die Öffnung der Mauer in Berlin und 1990 über die deutsche Einheit. Ich fühle mich verpflichtet und möchte das gerade an einem solchen Ort vor unseren jüngeren Mitbürgern und Mitbürgerinnen sagen – die werden ja die Verantwortung in der Zukunft zu tragen haben –, dass ich mich sehr genau erinnere an einen Besuch in Paris, und zwar am 30. November 1989. Ich hatte damals vier Besuche kurzfristig angesetzt in Washington, in London, in Paris und dann in Moskau, um den Repräsentanten dieser vier – wie es damals hieß – für Deutschland als Ganzes verantwortlichen Staaten die Frage zu stellen: »Wie haltet Ihr es mit der deutschen Einheit, die sich jetzt abzeichnet?« François Mitterrand sagte in diesem Gespräch zu mir: »Die Einheit der Deutschen ist eine historische Notwendigkeit. Sie wird sich vollziehen. Und Frankreich wird wie immer auch in dieser Frage an der Seite der Deutschen stehen. Aber ich frage Sie, Herr Minister, was wird das vereinigte Deutschland tun, wenn es vereinigt ist? Wird es seinen europäischen Weg fortsetzen oder wird es wie in der Vergangenheit wieder seine eigenen Wege gehen?« Diese Frage habe ich nicht nur für legitim gehalten, sondern ich konnte sie ohne Umschweife und ohne Probleme beantworten, indem ich gesagt habe: »Für uns gilt das, was Thomas Mann in seiner Rede an die deutsche Jugend 1952 gesagt hat: Was wir wollen, ist ein europäisches Deutschland, aber nicht ein deutsches Europa.« Das war die Absage an die Fehler und Irrwege der Vergangenheit und es war die Hinwendung Deutschlands zu seiner europäischen Verantwortung.

Meine Damen und Herren, die Zukunft unseres Volkes wird davon abhängen, ob wir nicht nur die Frage der Franzosen, sondern auch die Frage der anderen europäischen Völker, ob wir wieder unsere eigenen Wege gehen oder ob wir unsere europäische Verantwortung spüren, empfinden und ihr gerecht werden. Diese Frage wird uns begleiten. Und deshalb bin ich besorgt, wenn ich heute Stimmen höre, die daran zweifeln, ob denn die Einigung Europas noch jene Priorität haben müsse, ob nicht eigentlich die Gründung der Europäischen Gemeinschaft, des Europas der sechs, damals Frankreich, Italien, die drei Benelux-Staaten und der Bundesrepublik Deutschland, ob das nicht eine Antwort gewesen sei auf die Bedrohung aus dem Osten, die doch nun überwunden sei. Meine Damen und Herren, die Antwort auf die Bedrohung aus dem Osten war die Gründung der NATO und das, was mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft geschah, war auch eine Antwort, aber nicht auf die Bedrohung aus dem Osten, sondern auf die Irrwege der europäischen Geschichte, vor allem auf die zwei Weltkriege dieses Jahrhunderts. Die Franzosen und Deutschen haben durch ihre Zusammenarbeit, durch die Begründung eines einzigartigen Verhältnisses zwischen zwei Ländern ihre Antwort an die Geschichte gegeben. Sie haben ein Europa mit schaffen helfen und empfinden sich unverändert als Motor dieses Europas, in dem die Völker in Gleichberechtigung und Achtung miteinander und Achtung voreinander leben können. Oft wird eingewandt, dass in diesem Europa die Identität der Völker verloren gehen könnte. Dabei hat Abgrenzung noch nie identitätsstiftend gewirkt, sondern unheilstiftend. Zusammenkommen, den anderen erkennen, ja! Vielleicht sollten diejenigen, die eine solche Sprache führen, daran erinnern, dass die kleineren Völker Europas in dieser Europäischen Union zum ersten Mal ihre Identität seit Beginn der Epoche der Nationalstaaten wirklich leben können, weil sie nämlich frei leben können von Angst vor ihren größeren Nachbarn. Das ist das eigentlich Neue, eine neue Kultur des Zusammenlebens der Völker Europas in dieser Europäischen Union. Und ich finde, dass wir Deutschen erkennen sollen, dass dies unsere Verantwortung zu allererst ist, die wir gemeinsam mit unseren französischen Nachbarn in einer besonderen Verantwortung wahrnehmen.

Im Jahre 1983 hatte ich in Bremen bei einer der beiden großen historischen Veranstaltungen, die es dort gibt – das eine ist die Schaffermahlzeit und das andere die Eiswette –, die Deutschlandrede zu halten. Es war das Lutherjahr, das damals in Ost und West begangen wurde, und ich sprach über Wege zur deutschen Einheit. Und in der Vorbereitung dieser Rede las ich die Memoiren eines großen Bremer Bürgermeisters aus dem letzten Jahrhundert, sein Name war Duckwitz. Und Duckwitz war Bürgermeister von Bremen gewesen in einer Zeit, in der die drei freien Hansestädte, die es damals gab, Bremen, Hamburg und Lübeck (Lübeck war damals noch eine freie Hansestadt), besorgt waren, Preußen könne sie sich einverleiben. Da gab Duckwitz seinen Bremer Mitbürgern und Mitbürgerinnen eine Art Segelanweisung, indem er sagte: »Ein kleiner Staat wie Bremen im Deutschen Reich sollte sein Verhalten immer so einrichten, dass die anderen Staaten im Deutschen Reich die Existenz Bremens als Unterpfand auch des eigenen Glücks betrachten. Das ist die beste Garantie für das Fortbestehen und eine glückliche Zukunft Bremens.« Es scheint, dass die Bremer sich weitgehend an diese Devise gehalten haben. Wir haben das Bundesland Bremen in unserer Bundesrepublik Deutschland. Ich habe damals gefragt, und ich frage Sie heute: Was wäre uns Deutschen, was wäre Europa und der Welt erspart geblieben, wenn das immer Maxime deutscher Politik gewesen wäre zu sagen: Ein großes Volk wie das Volk der Deutschen im Herzen Europas lebend, das Volk mit den meisten Nachbarn, sollte sein Verhalten immer so einrichten, dass alle seine Nachbarn die Existenz der deutschen auch als Unterpfand des eigenen Glücks betrachten. Das ist die beste Garantie für eine glückliche Zukunft auf der Deutschen.

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass wir diesen Grundsatz in unserer Geschichte oft vergessen, aber noch viel schrecklicher, ihm zutiefst zuwider gehandelt haben. Und dennoch ist es nie zu spät. Und das ist das große Verdienst der deutschen Nachkriegspolitik, dass ein neuer Weg begonnen wurde und dass wir aus tiefer Überzeugung eine Frage, wie François Mitterrand sie noch einmal stellte, als die deutsche Einheit am Horizont erschienen: »Wird Deutschland seinen europäischen Weg weitergehen oder wird es wie in der Vergangenheit seine eigenen Wege gehen wollen?« Überzeugend beantworten können. Deutschland wird, Herr Botschafter, seinen europäischen Weg weitergehen, zusammen mit Frankreich. Und alle, die daran arbeiten, dass wir uns verständigen und deshalb besser verstehen können, sind Garanten, dass wir dieses Versprechen einhalten können.

Ich danke Ihnen.

Zitiert nach: Jahresbericht 1996 FEG. Herausgegeben vom Verein der Freunde, Förderer und Ehemaligen des FEG und dem Lehrerkollegium in Zusammenarbeit mit Schülern/innen und Eltern des FEG, Seite 46-49.