Herder-Transparent rollt Namensstreit auf

Wie soll die Schule heißen? – Literarische Rededuelle 

General-Anzeiger vom 29. Mai 1957

Schüler der Ernst-Moritz-Arndt-Schule II haben gestern das bisher ungelöste Problem der Namensgebung für diese Schule weithin sichtbar aufgerollt! Ein Transparent leuchtete am Schulgebäude auf, wenn auch nur für kurze Zeit, und verkündete in großen Lettern: „Herder-Gymnasium.“ 

Was dem Rat der Stadt Bonn seit mehr als einem Jahr Stoff zu literarischen Auseinandersetzungen liefert, haben die Pennäler mit ein paar Farbstrichen kurz und klar gelöst. Sie wollen endlich los von der Bezeichnung „Schule ohne Namen“. Pflichtgemäß ließ Direktor Dr. Kirch gestern das revolutionär wirkende Transparent „beseitigen“, das Schüler heimlich angefertigt hatten. 

Was ist eine Nation?
„Ein großer, ungejäteter Garten voll Kraut und Unkraut. Wer wollte sich dieses Sammelplatzes von Torheiten und Fehlern so wie von Vortrefflichkeiten und Tugenden ohne Unterscheidung annehmen und…gegen andre Nationen den Speer brechen?… Offenbar ist die Anlage der Natur, daß wie Ein Mensch, so auch Ein Geschlecht, also auch Ein Volk von und mit dem anderen lerne…bis alle endlich die schwere Lektion gefaßt haben: kein Volk ist ein von Gott einzig auserwähltes Volk der Erde; die Wahrheit müsse von allen gesucht, der Garten des gemeinen Besten von allen gebauet werden.“

Johann Gottfried Herder,
1744-1803

war der favorisierte Namenspatron der Schüler des jungen EMA II. Der wichtige Aufklärer hat zwar wenig Bezug zu Bonn, vertrat aber sehr moderne Positionen zu Nationalismus und Rassismus.

Auch in der Sitzung vom 1. März 1956 boten SPD und CDU ihre literarisch-historischen Kenntnisse auf, um nachzuweisen, ob es besser sei, die Schule nach dem Kurfürsten Max Franz oder nach Gottfried Herder zu benennen. Stadtv.  Dietzel (SPD) sagte unter anderem: »Wenn Sie den Kurfürsten Max Franz einem neusprachlichen Gymnasium aufdrängen, dann lacht ganz Bonn! Dunkle Punkte gibt es auch im Leben des Kurfürsten. Über das antikatholische Treiben in Bonn in damaliger Zeit möchte ich weiter nichts sagen. Wenn Sie aber etwas von Geschichte wissen, so werden Sie nicht bestreiten, dass es lange gedauert hat, bis dieses Aufklärungszeitalter einigermaßen gut gewürdigt wurde. So ziemlich im ganzen 19. Jahrhundert haben katholische Geschichtsschreiber den Kurfürsten Max Franz, der sich der Aufklärung ergeben hatte, verurteilt.« 

Maximilian Franz Xaver Joseph Johann Anton de Paula Wenzel von Österreich, 1756 – 1801

Der Kaiserssohn war Favorit des Bonner Stadtrats und Kölner Kurfürst im Zeitalter der Aufklärung, also durchaus Zeitgenosse von Herder. Unzweifelhaft verband ihn mehr mit Bonn, sein Bezug zum französischen Schwerpunkt des FEG ist aber eher speziell: Max Franz war der letzte Kurfürst vor der Säkularisierung und verlor Bonn zusammen mit dem linken Rheinufer während der Revolutionskriege an Frankreich.

Dr. Daniels (damals noch Stadtv.) konterte mit einem Brief, den Universitätsprofessor Braubach an ihn gerichtet hatte. Darin hieß es recht vorsichtig: »Ich bin der Meinung, dass es der letzte Kurfürst Max Franz durchaus verdient, bei solchen Gelegenheiten berücksichtigt zu werden. Sein Hauptanliegen war der Aufbau des Volksschulwesens.« Das war wieder für die Opposition ein Beweisstück mehr, nicht ein Gymnasium, sondern eine Volksschule nach Max Franz zu benennen. 

Der FDP-Stadtv. Dr. Zierold-Pritsch sagte am 28. März 1956: »Wenn sich heute zwei Schülertrupps von EMA I und EMA II begegnen, dann rufen die von der EMA I: Kurfürst Max Franz, und die von der EMA II erwidern: Das ganze Deutschland soll es sein. Sie sehen: Kindermund spricht Wahrheit. Es wäre also doch wohl richtiger gewesen, der besseren Einsicht zu folgen, als eine Entscheidung zu erzwingen.« Der Rat hat nämlich beschlossen, die namenlose Schule nach dem Kurfürsten zu taufen. Da aber der Kultusminister von Nordrhein-Westfalen diesen Vorschlag ablehnte und anregte, doch zu überprüfen, ob nicht auch Herder für den Bonner Lokalstolz tragbar sei, blieb bis zur Stunde die Entscheidung des Stadtrates aus. Ob er sich doch noch zu Herder bekennen wird?