Tagebucheintrag vom 26. April 2054
Justus hat mich gerade angerufen. Es war unser üblicher Sonntags-Call, obwohl wir beide das eigentlich ziemlich spießig finden. Aber sonst ist es nicht so einfach, gemeinsam Zeit zu finden. Ich lebe mit meinen 84 Jahren einen aktiven Ruhestand. Meine Kids lachen immer, wenn ich von meinen Aktivitäten erzähle. „Du solltest dich mehr um unsere Enkel kümmern!“ Ich meine, mein Mann ist auch noch da. Er hat in den letzten Tagen mal wieder intensives Homework-Coaching übernommen. Schließlich sind unsere Enkel schon selbst Gymnasiasten. Eigentlich lustig, dass es das Gymnasium als Schulform noch gibt. Ein bisschen antiquiert, jetzt wo alle Realschulen auch noch abgeschafft wurden. Die Hauptschulen sind ja schon vor 20 Jahren abgeschafft worden, na ja, außer in Bayern, aber da läuft immer ohnehin alles anders. Und derOpa, mein Mann, ist wirklich spitze darin, wenn es darum geht, aus dem Learning-System der Kids Spezialaufgaben zu betreuen. Da wird ja viel projektartiger als zu unser Zeit gearbeitet. Letztens ging es um die nachhaltige Energiegewinnung an der Schule. Die Schule von meiner Enkelin Pia (lustig diese alten Namen!) – sie geht doch tatsächlich auf das FEG, an dem auch Justus und Leonie waren – ist jetzt komplett energetisch selbst versorgt. Jetzt haben sie mit Energiegewinnung aus Pflanzen aus dem Schulgarten experimentiert. Mein lieber Mann war helle Flamme, denn Bio war schon immer sein Hobby. Und über dieses Learning-System kannst du als Opa einfach mit ins Projekt einsteigen, toll. Klar, die Kids gehen auch noch in die Schule vor Ort. Dort aber mehr um sich in kleinen Gruppen zu treffen und gemeinsam zu arbeiten. Es geht doch nichts über Persönliches und die Lerncoaches – zu meiner Zeit hießen sie noch Lehrer – unterstützen sie dabei. Die legen zu jedemThema und Projekt Lernziele fest und betreuen dann die Schüler dahingehend, wie sie diese erreichen können. Es gibt auch nochTests und Prüfungen, um zu sehen, ob das Gelernte verstanden wurde und wo die Einzelnen und Gruppen stehen. Es werden aber viel mehr Gruppenleistungen abgefragt. Bei mir und meinen Kindern gab es immer nur Einzelnoten. Den klassischen Fachvortrag, früher Frontalunterricht genannt, von den Lerncoaches gibt es natürlich immer noch. Sie sind schließlich auch die fachlichen Kenner. Und es macht auch immer Spaß, von einem Spezialisten ein Thema erklärt zu bekommen und in die Diskussion zu gehen. Das findet vielfach gar nicht durch die Lerncoaches in der Schule selbst, sondern in den kooperierenden Museen, Hochschulen und anderen Organisationen statt. Oderdurch Impulsgeber aus diesen Organisationen. Oft sind das auch gemeinsame Projekte, da es beispielsweise für international arbeitende Organisationen interessant ist, wie junge Menschen ticken und umgekehrt für die Schüler toll ist, zu verstehen wie international operierende Organisationen arbeiten. Ich bin immer noch fasziniert zu sehen, wie bunt die Bildungslandschaft inzwischen ist. Dank der weltweiten Vernetzung sind in den letzten Jahren immer mehr internationale Kooperationen und Zusammenarbeiten zustandegekommen. Eine Schule wie das FEG konnte damit ihr internationales Profil ganz neu beleben. So wird gemeinsamer Unterricht mit den traditionellen Partnern in Toulouse und auch Thame gemacht (ja, die Kontakte gibt es noch!!), aber auch mit Partnern in Lima, Jerusalem, Addis Abeba, Chicago oder mit der Schule in dieser riesigen chinesischen Metropole,deren Namen ich mir einfach nicht merken kann. Da bin ich schon etwas neidisch…hätte es das zu meinerZeit gegeben….
Und wie die Schulen jetzt aussehen! Da hat man Lernlandschaft geschaffen. Am FEG zum Beispiel hat man in den alten Gebäudetrakten so gut es ging Türen entfernt und Verbindungen zwischen den Klassenzimmern gebrochen. Da ist dann viel Interaktion und gemeinsame Projektarbeit möglich. In den Townhalls werden Vorträge gehalten und diskutiert. Und in den Ruhezonen konzentriert einzeln oder zu mehreren gearbeitet. Die vor 25 Jahren gebauten Gebäudeteile waren ja schon viel moderner und der letzte Bau auf der anderen Straßenseite ist sowieso ein inspirierendes Gebäude. Da haben schließlich auch viele zusammen gebaut, die UNO, das Kunstmuseum, die Stadt, und diverse Sport-und Kulturvereine, die alle auch das Gebäude nutzen. Wenn doch viel online von zu Hause erledigt werde kann, kann man gemeinsame Ressourcen in solchen Gebäuden besser nutzen. Die Verknüpfung von drinnen und draußen ist beim Gebäude wunderbar gelungen. Unterricht und Arbeiten findet auch viel im Freien statt. Damals hat uns die Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig das Draußen und frische Luft ist. Letztendlich hat dies auch zu einem ganz anderen Klimabewusstsein geführt. Und Bewegung natürlich. Bewegtes Arbeiten und Unterrichten gehört einfach heute zum Alltag der Kids. Das ist mit den mobilen Devices, die auf Sprache und Gestensteuerung reagieren, kein Problem. Mit den Holgrammen sind sie noch nicht so weit, aber die Brillen oder Faceshields funktionieren auch gut beim Gehen. Ich mag die ausrollbaren interaktiven Boards, die man überallhin mitnehmen und aufhängen kann, lieber als direkt immer etwas vor dem Gesicht zu haben. In meinem Alter darf man aber auch mal Probleme mit bestimmten Techniken haben. Aber zurück zu Justus und seinem Anruf.Er ist gerade aus Korea wiedergekommen, Südkorea. Die beiden Staaten sind ja immer noch getrennt, obwohl sich Nordkorea langsam geöffnet hat und einen ähnlichen Weg wie damals China gegangen ist. Er hat dort seinen alten Schulkumpel Paul aus dem FEG besucht. Ja, genau der Paul, der damals als einziger die gesamte Bedienungsanleitung des grafikfähigen Taschenrechners gelesen hatte. Und als einziger seinen Mitschülern das komplizierte Ding erklären konnte. Jedenfalls haben die beiden den Kontakt immer gehalten, seit der Zeit als Paul mit seiner Familie zurück nach Korea ging. Ich freue mich immer zu sehen, dass diese gelebte Internationalität einer Schule wie das FEG auch so viel Wirkung hatte und hat. Ja, und meine Tochter Leonie? Deren Tochter Pia geht ja wie gesagt aufs FEG. Ihre Schwester Lola vielleicht auch später, mal sehen. Eigentlich wollte Leonie doch gar nicht wieder nach Bonn zurück. So sind sie, die Töchter. Sie zieht es immer weg von der Heimat. Aber nach den Jahren in Kalifornien, hatte sie die Chance, mit ihrer Agentur hier eine Dependance aufzubauen. Und die hat sie natürlich genutzt. Und wir sind froh einen Teil der Familie in der Nähe zu haben.